Wasserbecken im Hintergrund Windräder
Transformationsblog / Lachgas ist kein Spaß

Lachgas ist kein Spaß

Lachgas und Methan sind klimaschädliche Gase - viel schädlicher als CO2. Prodekan Prof. Dr.-Ing. Peter Baumann arbeitet an ihrer Reduzierung in Kläranlagen. Durchdachte, sinnvolle Regeln und Normen sollen dabei für mehr Klimaschutz in der Abwasserwirtschaft sorgen.

Normen und Regelwerke – das klingt staubtrocken – und ist nichts für Pragmatiker. Aber im technischen Bereich basieren alle Konstruktionen auf technischen Regeln – hier geht es um Qualität, Zuverlässigkeit und Sicherheit. Normen und Regelwerke sind aus der Lehre wie aus der tagtäglichen Umsetzung nicht mehr wegzudenken, dürfen aber Innovationen und neuen Denkansätzen nicht im Wege stehen.

Lerne die Regeln wie ein Profi, damit du Sie wie ein Künstler brechen kannst.

Pablo Picasso

Wer macht denn die Regeln?  Alle haben schon von der DIN gehört, einige zudem vom CEN oder der ISO. Dazu kommen nationale Regelwerke von technischen Vereinigungen, wie dem VDE oder auch der DWA. DWA ? – was ist denn das ? Muss man nicht kennen: Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V.

Alle diese Organisationen setzen bei der Erarbeitung von Regelwerken auf die ehrenamtliche Tätigkeit von Fachleuten. Diese finden sich in Arbeitsgruppen zusammen, um für einen begrenzten Zeitraum ein neues Regelwerk zu erstellen oder ein bestehendes zu überarbeiten. Etliche Professor:innen im Studienbereich Bauingenieurwesen sind in der Regelwerksarbeit aktiv - ich selbst in mehreren Ausschüssen der DWA.

Und was hat das alles mit Klimakompetenz und Lachgas zu tun? Nun - ich bin stellvertretender Obmann im DWA-Fachausschuss KA 13 „Automatisierung von Kläranlagen“ und wir haben aktuell einen Fachbeitrag zum Thema „Automatisierungslösungen zur Verminderung von Methan und Lachgas auf Kläranlagen“ erarbeitet. Lachgas (N2O) und Methan (CH4) sind klimaschädliche Gase, die 298- bzw. 25-fach schädlicher als CO2 sind (ausgedrückt als Global Warming Potential GWP über einen Zeitraum von 100 Jahren).

Was heißt das für Sie?

"Klimakompetenz – das heißt für mich, bei der Planung, dem Umbau und dem Betrieb von Kläranlagen auch an die Auswirkungen in Bezug auf den Klimawandel zu denken. Dabei nur auf die Minimierung des Bedarfes an Strom und Wärme zu schauen, scheint aber „zu kurz gehüpft“.  Aspekte des Baus - Ist ein Neubau wirklich sinnvoller als die Sanierung? Und kann der spätere Betrieb mit möglichst geringen Emissionen an Lachgas und Methan erfolgen? werden immer wichtiger. Das hat vor zehn Jahren fast keinen interessiert. Jetzt aber immer mehr, aber noch nicht genug. Also arbeiten wir daran."

Prof. Dr.-Ing. Peter Baumann

Klimakompetent

Die Klimagase können bei nicht optimalen Randbedingungen im Zuge der Abwasser-und Schlammbehandlung ungewollt entstehen und in die Atmosphäre gelangen – also geben wir Tipps, Tricks und Hinweise, wie die Betreiber unserer rund 8.900 Kläranlagen in Deutschland (und den immer noch viel zu wenigen auf der ganzen Welt) den Betrieb hier (noch) besser machen können. Der Fachbeitrag ist als Vorstufe zu einem späteren Merkblatt im DWA-Regelwerk geplant.

Und woher wissen wir, wie es (richtig) geht? Dazu gehört die Sichtung von Fachliteratur, Teilnahme an Forschungsprojekten, Gespräche bei Fachtagungen und Austausch mit Forschern, Betreibern und Firmen vor Ort. Da passt es gut, dass das junge Unternehmen Variolytics GmbH aus Stuttgart eine Abluftmessung für unter anderem Lachgas und Methan aus der Gas- und Flüssigphase entwickelt hat. Diese wird auf der Kläranlage in Stuttgart-Möhringen zurzeit getestet. Also Termin gemacht, aufs E-Bike geschwungen und hin. Nach dem Gesprächstermin vor Ort sind alle etwas schlauer und klimakompetenter. Transfer pur.

Obwohl der Anteil der klimaschädlichen Gase aus Kläranlagen nur 0,1 % der gesamten CO2eq-Emissionen in Deutschland für das Jahr 2022 betrug, wäre es falsch, nichts zu tun. Denn: sauberes Wasser sollte nicht auf Kosten des Klimas gehen.

Das heißt, forschen, nachdenken, umsetzen und die gewonnen Erkenntnisse verbreiten – in der Fachöffentlichkeit, im Regelwerk und wir natürlich in der Lehre an der HFT.

Übrigens: Lachgas wird laut der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen (EMCDDA) bei jungen Menschen immer beliebter. Dass viele das frei verkäufliche Gas (inzwischen auch in Geschmacksrichtungen wie Pfirsich, Erdbeer oder Mango erhältlich) für einen kurzen Rausch inhalieren, kann gefährliche Folgen haben – mit Nervenschädigungen bis hin zu Querschnittslähmungen. In den Niederlanden ist der Verkauf seit Anfang des Jahres außer für technische und medizinische Zwecke bereits verboten.

Also – „Nase weg“ - das schützt nicht nur die Menschen, sondern auch unser Klima.

 

Glossar: 
DIN – Deutsches Institut für Normung
CEN – Comité Européen de Normalisation; Europäisches Komitee für Normung
ISO – International Organization for Standardization – Internationale Organisation für Normung
VDE - Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V.

Fachbeitrag:
Mess- und Automatisierungslösungen zur Verminderung von Methan und Lachgas auf Kläranlagen
P. Baumann. A. Gahr, J. Hansen, J. Thamm, R. Voß und C. Wolf. KA Korrespondenz Abwasser, Abfall, 10/2023, S. 759-765

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